Ein Stadtlabor als (un)sauberes Forschungsprojekt

   Wenn man wie wir bei „Schlaue Technik. Tolle Helfer?“ ein Praxisprojekt wie in unserem Stadtlabor durchführt, geraten wissenschaftliches Wissen und Methoden über empirische Sozialforschung an ihre Grenzen. Einen Raum der Begegnung zu eröffnen, Menschen einzuladen, gemeinsam Technik auseinander zu schrauben, das sind alles Aktivitäten, von denen man in keinem sozialwissenschaftlichen Methodenhandbuch lesen kann. Schlimmer noch: Es wird vermutlich davor gewarnt, so etwas zu tun, da es keine saubere Forschung sei.

Herausforderung: Mehrschichtigkeit von Rollen und Erleben

Bild zeigt: Personen aus Vogelperspektive, die mit Klemmbausteinen bauen.Ein solches Projekt mit verschiedenen Workshops und Aktionen ist weniger eine zeitlich klar abgegrenzte Daten-Erhebungs-Phase in einem Forschungsprojekt, sondern eher eine Art „Daten-Festival“. Wie auf einem Festival gibt es ein Programm, das durch die Ordnung von Terminen, Themen und Akteur*innen eine Struktur vorgibt – das aber nur den Rahmen des eigentlichen Zwecks bildet: Das verdichtete Erleben von den Dingen, die sich zwischen den Beteiligten entwickeln. Allerdings sind Bühne und Zuschauer*innenraum in unserem Fall sehr wechselhaft: Als Forscher*innen organisierten wir nicht nur das Festival, sondern manchmal waren wir auch die Band und oft das Publikum. Expert*innenrollen in partizipativer Forschung und Wissenschaftskommunikation sind volatil. Offenheit und Zuhören ist auf allen Seiten gefordert, niemand kann (dauerhaft) einseitig Produzent*in oder Konsument*in sein. Abgegrenzte Räume und Situationen, etwa eine Gruppendiskussion, sind eingefasst von informellen Begegnungen derselben Akteur*innen. Ein „Workshop“ kann einmal eine Schulung von Senior*innen im Umgang mit Hardware-Bausätzen sein, ein andermal ein Erhebungsinstrument zur Entwicklung von Ideen für das zukünftige Wohnen.

Diese Mehrschichtigkeit ist beabsichtigt und keineswegs ein methodisches Hyperventilieren. Es handelt sich vielmehr um eine Anerkennung der Komplexität sozialer Realität. Menschen existieren nicht ausschließlich in den Idealisierungen Forschende/Beforschte. Die Mehrschichtigkeit der Rollen – Forscher*in, Zuhörer*in, Motivator*in, etc. – ist kein Hindernis für partizipative Forschung, sondern ihr methodologischer Schlüssel.

Lösung: Ethnografische Analysehaltung

Bild zeigt: Karola, sitzend, beim Schreiben auf einem Klemmbrett.Zu einem wissenschaftlichen Erkenntnismittel wird ein Projekt wie „Schlaue Technik. Tolle Helfer?“ aber nicht allein durch das Erleben dieser Mehrschichtigkeit, sondern – wie in ethnografischen Methoden üblich – erst durch die Distanznahme, durch das Dokumentieren und die retrospektive Befragung des Dokumentierten. Dabei gilt der berühmte Satz von Barney Glaser, einem der Erfinder der Grounded Theory-Methodologie: „All is data.“ Ein Stadtlabor liefert mindestens so viele Daten durch Begegnungen und Pausengespräche wie durch die Audio- und Videoaufnahmen von Workshops und Gruppendiskussionen.

Die Aufgabe für uns als Forscher*innen besteht darin, diese Vielheit irgendwie bearbeitbar zu machen. Denn bereits im Dokumentieren des Erlebten findet das statt, was das Ziel einer ethnografischen Analyse ist: das Verstehen komplexer sozialer Realität durch Reflexion und Interpretation des eigenen Erlebens.

Praxis: Memo schreiben

Bild zeigt: Over shoulder Blick beim Notieren Wir machen uns deshalb viele Notizen in Form von Einträgen in ein Forschngstagebuch oder als so genannte konzeptualisierende Memos, um den Erlebnissen im Rahmen des partizipativen Prozesses und deren Kontexten gerecht zu werden. Das Diktum „all is data“ zielt dabei nicht auf eine möglichst impressionistische Beschreibung der Gefühlslagen der Beteiligten! Es geht vielmehr darum, durch beständigen Vergleich und probeweises Konzeptualisieren nützliche Daten für die unterschiedlichen Fragen im Forschungs- und Entwicklungsprozess zu gewinnen. Deswegen müssen Beobachtungen, Begegnungen und erste Erkenntnisse im Feld möglichst dicht und regelmäßig dokumentiert und ausgewertet werden.

Als Instrument für die Dokumentation und Auswertung haben wir fortlaufend im Zusammenhang im Anschluss an all unsere Prozesse und Veranstaltungen Memos, Gedankenprotokolle, Impressionsnotizen und Reflexionsansätze angefertigt. Dabei nutzten wir Online-Dokumente, auf die alle Teammitglieder zeitgleich Zugriff hatten und sich so ergänzen konnten.

Dadurch wird auch beobachtbar, wie sich Einschätzungen über soziale Situationen, Personen und Sachverhalte über die Zeit hinweg ändern. Die Memos stellen eine Momentaufnahme dar, sie sind die Dokumentation eines speziellen Zeitpunktes. Ohne diese würden neue Erfahrungen die alten überlagern und die zur Auswertung verfügbaren Daten wären detailärmer.

All that Data

Bild zeigt: Mitmachtagebücher aufgereihtDie so entstandene Datenmenge ist üppig und ertragreich, so haben wir allein an Audioaufnahmen mehr als 14 Stunden Material gesammelt, die nun transkribiert und ausgewertet werden. Das konstante Datensammeln wird aber auch über die Projektlaufzeit hinaus in Form von Memos, Fotos, Post-its, Transkripten, Videos und Audioaufnahmen fortgesetzt – denn wir sind noch lange nicht am Ende unserer Arbeit im Stadtlabor.