Erfolgreicher Teilprojektabschluss

Eine Grundschule und viele Ideen

Im Juni und Juli 2022 besuchten wir an drei Freitagen die Grundschule Bruchmühlbach-Miesau in Rheinland-Pfalz und entwickelten gemeinsam mit den Schüler:innen, dem Klassenlehrer Herr Six und der Englischbeauftragten Natalia Eckert Lernkonzepte für ihren eigenen Unterricht. Zum Einsatz kamen dabei die Spiele “Overcooked 2”, “Planet Zoo” und “Sims 4”, mit denen die Kinder viele spannende Lernfelder interaktiv erforschten.

Schüler:innen als Expert:innen

Bei unserem ersten Treffen lernten wir eine vierte Klasse von Herrn Six kennen, die fortan unsere Kooperationsklasse wurde. Gemeinsam mit Herrn Six nahmen wir uns die Zeit, nicht nur die Schüler:innen kennen zu lernen, sondern auch etwas über sie und ihre Spielweisen, Hobbys und Interessen zu erfahren. Am wichtigsten aber war die Frage, in welchen Fächern und zu welchen Themen die Kinder gerne etwas mit Spielen lernen möchten. Dabei stellte sich heraus, dass für einige Kinder das Thema Frustration und der Umgang mit Niederlagen bedeutsam ist. “Wenn ich dreimal hintereinander verliere, dann habe ich keine Lust mehr zu spielen!”, sagte eindringlich einer der Jungs und viele Kinder nickten zustimmend. Für uns überraschend war auch der große Anteil an Kindern, die sich für Simulationsspiele interessieren. Zwei Kinder spielten sogar schon Zuhause den Landwirtschaftssimulator. Schließlich nannten einige Englisch als Thema, mit dem sie gerne mehr machen wollten. Die Kinder berichteten uns begeistert von ihren Lieblingsspielen und von ihren vielseitigen Hobbys, die vor allem viel mit draußen sein, Tieren, Musik und Freunden zu tun haben. Alle Mädchen und Jungs wollten mitmachen, alle hatten mindestens geringe Vorerfahrungen mit Spielen und einige spielten sogar regelmäßig Zuhause, worüber wir sehr glücklich waren. Die Schüler:innen waren hoch motiviert und wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten wir direkt loslegen sollen. Allerdings galt es für uns erstmal, alle Eindrücke und Erkenntnisse zu ordnen und Konzeptvorschläge zu entwickeln.

Lehrer:innen als Forscher:innen

Im Vordergrund stand für uns, Herrn Six als Klassenlehrer möglichst stark in unsere theoretischen und pädagogischen Überlegungen einzubeziehen und ihn insbesondere als Didaktiker und Experte seiner Klasse an der Konzeptualisierung partizipieren zu lassen. Innerhalb unseres Teams entwickelten wir also mehrere Ideen, die die Bedürfnisse und Interessen der Kinder aufgriffen und präsentierten sie Herrn Six. In mehreren Gesprächen kristallisierte sich heraus, dass unser Team in manchen Aspekten unrealistisch plante, weil wir zum Beispiel die kindliche Neugierde oder Überschwänglichkeit unterschätzten oder die Konzentrationsfähigkeit überschätzten. Außerdem wusste der Klassenlehrer bestens über die Leistungsstände seiner Schüler:innen Bescheid und konnte deshalb sinnvolle Gruppengrößen und -konstellationen festlegen, von denen wiederum die Konzepte abhingen. Herr Six schlug vor, Frau Eckert als Englischbeauftragte mit einzubinden – eine tolle Idee und ganz im Sinne unseres wissenschaftskommunikativen Projektansatzes! Unser Team erweiterte sich also um eine weitere interessierte Mitgestalterin. Schon hier zeigte sich, dass die Idee, wissenschaftliche Forschung für Nicht-Wissenschaftler:innen zu öffnen, sehr bereichernd ist. Wie sich herausstellen sollte, war dies auch der Grund dafür, warum sowohl die Schüler:innen als auch die Lehrer:innen und wir als Forscher:innen gleichermaßen zufrieden mit dem sehr gelungenen Ablauf der Projekte sind. Wir profitierten beiderseitig von unserem engen Austausch: Unser Input half den Lehrer:innen dabei, eine Vorstellung davon zu erhalten, was mit Spielen im Unterricht alles möglich ist und ihr Input half uns dabei zu verstehen, wie diese Möglichkeiten gut umgesetzt werden können. Zusammen ergab das gelebte Wissenschaftskommunikation.

Die Konzepte

Am Ende haben wir uns für 3 Konzepte für insgesamt 20 Schüler:innen entschieden, die wir an zwei Freitagen durchführen wollten. Beim ersten Mal durften die Schüler:innen “Overcooked 2” und “Planet Zoo” spielen, beim zweiten mal spielten sie “Sims 4”. Beide Termine waren mit intensiven Vor- und Nachbereitungsgesprächen mit den Lehrkräften verbunden.

Overcooked 2

In Overcooked 2 konnten bis zu vier Schüler:innen gemeinsam versuchen, Gerichte zuzubereiten und rechtzeitig zu servieren. Das besondere dabei ist, dass die Küche chaotisch angeordnet ist: Zutaten stehen wild herum, die Kochutensilien sind wieder wo anders und dann stehen sich alle auch noch gegenseitig im Weg. Schnell wird dabei klar: das ist ein Team Spiel und die Gerichte können nur rechtzeitig zubereitet werden, wenn Aufgaben sinnvoll verteilt werden und die Kinder während des Spielens fokussiert miteinander kommunizieren. Im Vordergrund stand dabei, sozial-kommunikative Kompetenzen und die Frustrationstoleranz zu steigern. Damit adressierten wir fachunabhängige Metakompetenzen.

Bei jeder Gruppe befand sich eine Person aus unserem Team, das aus dem Klassenlehrer und uns bestand, um Fragen zu beantworten und den Lernprozess zu unterstützen. Die anfänglichen koordinativen und kommunikativen Schwierigkeiten lernten die Kinder zu überwinden. Es wurde darüber gesprochen, welche Anweisungen sinnvoll und welche unnötig oder redundant sind, warum es wichtig ist, sich an die Aufgabenverteilungen zu halten und wie man in Krisen kommuniziert. Der Erfolg wurde den Schüler:innen vom Spiel selbst vermittelt: es gelang ihnen, mehr Gerichte erfolgreich zuzubereiten und eine deutlich höhere Punktzahl zu erreichen. Außerdem hatten sie beim Spielen viel mehr Spaß. Den Frust, der bei kniffligen Spielen aufkommen kann, adressierten wir durch die Etablierung von Ritualen im Zusammenhang des Fair-Plays. Die Schüler:innen wünschten sich vor Spielbeginn viel Erfolg und nach der Runde wurde kollektiv gefist-bumped und sich GG “gut gespielt” gesagt. Mit diesem Ritual durchbrachen wir die bei manchen Schüler:innen vorherrschende Tendenz, bei einer schlechten Runde erstmal unkontrolliert der Frustration freien lauf zu lassen und gleichzeitig das Team-Erlebnis zu stärken. Die Schüler:innen lernten, dass sie auch bei weniger guten Leistungen Freude empfinden und das gemeinsame Spielen in den Vordergrund rücken können.

Planet Zoo

Das Zoo-Simulationsspiel Planet Zoo erlaubt es Spielenden, in die Rolle von Zoomanager:innen zu schlüpfen und einen Zoo, die darin lebenden Tiere sowie die Bersucher:innen zu managen. Das Spiel beinhaltet auch ein eigenes spielinternes Zoopedia, also ein Wiki über die Tiere des Spiels, indem grundlegende und weiterführende Informationen in Textform und mit Visualisierungen vermittelt werden. Im Grundspiel sind bereits über 70 Tierarten enthalten. Der Klassenlehrer lies im Vorfeld seine Schüler:innen darüber abstimmen, über welche dieser Tiere sie etwas lernen möchten. Dazu zählten spektakuläre Tiere wie Pandas und Schneeleoparden sowie unbekanntere Tiere wie Leguane oder Goliath-Spinnen. Anschließend haben wir einen Zoo mit üppigen Gehegen und Terrarien gebaut, in dem genau diese Tiere vorgekommen sind. Darüber hinaus hat der Klassenlehrer ein Arbeitsblatt konzipiert, in dem die im Spiel vermittelten Informationen über die Tiere und Beobachtungen aufgeschrieben werden konnten.

Die Schüler:innen begaben sich im Zoo auf die Suche nach dem Tier, über das sie etwas lernen wollten und nutzten das Arbeitsblatt als Struktur bei der Informationsauswahl. Gesucht war Wissenswertes unter anderem über den Lebensraum, die Ernährung, das Sozialverhalten und die Lebenserwartung der Tiere. Besonders viel Spaß hat ihnen natürlich die Beobachtung der Tiere beim Spielen und im Sozialverhalten gemacht. Dank der freien Kameraführung, die von den Schüler:innen selbst kontrolliert wurde, konnten sie sich die Tiere im Detail anschauen: ihre Augen, ihr Fell, die Zähne, Klauen und Krallen, aber auch ihre Bewegungen beim Klettern, springen, spielen und baden – es gab viel an ihnen zu entdecken und zu lernen. Auch diese Beobachtungen wurden natürlich im Arbeitsblatt festgehalten und durch fun facts ergänzt, die die Kinder durch das Zoopedia gelernt haben. Im Zentrum des Konzepts stand daher die Wissensvermittlung über genau die Tiere, für die sich die Schüler:innen interessierten.

Sims 4

Die Sims 4 ist ein Spiel, in dem die Alltagswelt von Menschen simuliert wird. Man begleitet Sims, d.h. die virtuellen Menschen, in ihrem Leben, baut ihnen Zuhause, richtet diese ein, ebnet ihre Karrierewege und gestaltet ihre sozialen Interaktionen, z.B. geht man mit anderen Sims Beziehungen und Freundschaften ein. Dadurch, dass Sims 4 eine Alltagssimulation ist, bewegen sich die Sims auch in alltäglichen Umgebungen, insbesondere ihrem eigenen Zuhause. Diesen Umstand machten wir uns zu nutze, um ein weiteres Lernfeld aufzugreifen, für das sich die Schüler:innen interessierten: Englisch! Das Konzept ist dabei denkbar einfach: wir haben ein Haus gebaut, indem für jedes Kind ein leeres Zimmer zur Verfügung steht, das sie nach eigenem Geschmack einrichten durften – ihrer Kreativität waren dabei keine Grenzen gesetzt. Der Haken an der Sache war, dass wir die Sprache des Spiels auf Englisch umgestellt hatten, sie also beim Platzieren von Objekten die englischen Begriffe angezeigt bekommen hatten. Auf diese weise sollten sie spielerisch und mit visuellen Repräsentationen in den Kontakt mit den Vokabeln von Alltagsgegenständen kommen. In den Tagen zuvor lernten die Schüler:innen im Unterricht mit Frau Eckert einige Grundvokabeln, damit sie diese wiedererkennen konnten. Dazu zählte auch der Satz: “In my room, there is…”, damit sie uns davon erzählen konnten, wie sie ihr Zimmer eingerichtet haben. Die Lehrerin war im Übrigen besonders innovativ, da sie die Schuleigenen Tablets mit einer Leseapp benutzte, um Piktogramme, die den Piktogrammen aus Sims 4 ähnelten, mit einem kurzen Audio zu hinterlegen, bei dem die Bezeichnung des Gegenstandes nach einem kurzen Antippen auf Englisch vorgelesen wurde. Sehr zur Freude ihrer Mitschüler:innen stammte die Vorlesestimme sogar von einer Schülerin aus der Klasse, die bilingual deutsch/englisch aufgewachsen ist!

Wie bei einer Lan-Party konnten die Schüler:innen sich dabei auch gegenseitig über die Schultern gucken und es entstanden ganz tolle Zimmer, die in ihrem Design von der Jugendherberge bis ins futuristisch-moderne alles wiederspiegelten. Während des Spielens baten wir und die Lehrer:innen regelmäßig die Schüler:innen darum, uns auf englisch zu beschreiben, welche Gegenstände in ihrem Zimmer sind. Streng genommen ist das nichts anderes als ein Vokabeltest, der einfach nur viel Spaß gemacht hat! Zusätzlich lag neben unseren Laptops aus dem Spielelabor immer ein Tablet mit der Leseapp bereit, falls ihnen die Vokabel nicht mehr einfiel. Im Anschluss durften alle Kinder, die wollten, ihre Zimmer vor der ganzen Klasse vorstellen. Wir projizierten einfach das Spiel an die Wand, sodass es für alle sichtbar war und die Kinder konnten stolz von ihren Kreationen erzählen – auf Englisch natürlich!

Evaluation

Wir haben sehr viel darüber gelernt, wie Kinder lernen wollen, weil wir ihnen die Zeit und den Raum gegeben haben, sich dazu zu äußern. Wir haben in diesem Projekt Wissenschaftskommunikation auf sehr niedrigschwelliger Ebene betrieben und sind begeistert, welchen Mehrwert dies nicht nur für die Schule, sondern für unsere eigene Forschungstätigkeit bedeutet. Die gemeinsame Arbeit mit Lehrer:innen und ihre Einbindung in unsere Reflexionsprozesse haben signifikant dazu beigetragen, dass wir in so kurzer Zeit solch spannende Konzepte erstellen und anschließend mit den Schüler:innen durchführen konnten. Deren Feedback zum den Unterrichtsstunden war durchweg positiv und unterschiedliche Kinder nannten unterschiedliche Lernerfolge, die sie aus den gemeinsamen Tagen für sich mitgenommen haben, was wir als vollen Erfolg verbuchen.

Da dies nur erste Konzepte waren, müssen sie weiterentwickelt werden, um dauerhaft ein Teil des Unterrichts werden zu können. Was das auf inhaltlicher Ebene bedeutet, berichten wir im nächsten Blog-Eintrag. Dort werden wir auch unsere Projektarbeit an der Schule reflektieren und darüber berichten, welche Schwierigkeiten es gab und wie die Lehrer:innen uns dabei unterstützten, diese zu überwinden. Der Klassenlehrer und die Englisch-Beauftragte an der Schule möchten in Zukunft weiter mit uns zusammenarbeiten, denn beim Durchführen dieser Projekte sind viele neue Ideen entstanden, wie man sie verbessern und dauerhaft im Regelunterricht verankern kann. Für uns bedeutet das, dass wir auch nach dem Ende von Next Level weiter mit der Grundschule zusammenarbeiten möchten. Unser studentischer Mitarbeiter Elias darf dort schon nach den Sommerferien die Minecraft-AG übernehmen und Overcooked 2, Planet Zoo und Sims 4 werden aller Wahrscheinlichkeit auch wieder ihren Weg in die Grundschule finden.