Nachdenken statt Feiern am Tag der Deutschen Einheit

Arbeitsgruppentreffen

Die deutsche Vereinigung  wurde dieses Jahr mit einem großen Festakt in Erfurt gefeiert. Aber ist der 3. Oktober wirklich ein Tag, den man feiern sollte? Wer geht unter im nationalen Freudentaumel? Welche Konsequenzen hatte die Vereinigung im Schnellverfahren?

Vor 32 Jahren waren die Zeit der Feierlichkeiten rund um die deutsche Einheit eine Zeit der Angst für manche Menschen in diesem Land. Auf der Webseite zweiteroktober90 findet sich eine Dokumentation der zahlreichen neonazistischen Angriffe, die allein am 2. und 3. Oktober 1990, also am Vorabend und am Tag der deutschen Vereinigung stattfanden. Die rechte Gewalt riss danach im vereinten Deutschland nicht mehr ab. Täglich wurden nun Migrant:innen angegriffen, darunter auch die ersten Bewohner:innen der ersten Asylunterkunft Thüringens am Neuen Haus.

Am 25.09.1991, nur eine Woche nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda, wurde das Gelände von einer Gruppe von 20 Jugendlichen aus dem Nachbarort angegriffen, die die über hundert dort untergekommenen Asylsuchenden aus dem Haus jagten, Telefone und Einrichtung zerstörten und Brandflaschen warfen. Das Feuer beschädigte ein Gebäude, aber verletzte keine der Bewohner:innen.

Unsere Projektgruppe hat den 2. und den 3. Oktober dieses Jahr nicht zum Feiern genutzt, sondern zur Arbeit an der Webseite und zum Nachdenken. Die deutsche Einheit im Schnellverfahren hat den Ort, um den sich unser Projekt dreht nämlich auch über die Vereinigungsgewalt hinaus geprägt.

Im Einigungsvertrag war festgelegt, dass die neuen, ostdeutschen Bundesländer schon zum 01.01.1991 Asylsuchende gemäß des Quotensystems aufnehmen sollten. Das Asylsystem der Bundesrepublik, mit seinen Ausländerbehörden, Asylunterkünften, Richtern, Sozialarbeitern und Außenstellen des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge sollte dafür auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen werden. Dort hatte es bis dahin keine vergleichbaren Strukturen gegeben. Dafür standen zwischen Oktober 1990 und Januar 1991 lediglich drei Monate zur Verfügung.

Es herrschte enormer Zeitdruck. Das mitten im Thüringer Wald gelegene ehemalige vormilitärische Ausbildungslager der GST am Neuen Haus bei Tambach-Dietharz bot sich unter diesen Bedingungen an. Dort war noch alles vorhanden: Betten, Schränke, Bettwäsche, Geschirr und eine Großküche für die Versorgung von mehreren hundert Menschen. Das Personal konnte übernommen werden. Der gerade gewählten Thüringer Landesregierung kam das angesichts des engen Zeitplans gelegen.

Die Abgelegenheit des Ortes störte nicht, sondern entsprach sogar den Richtlinien der Unterbringung, die die CDU-Bundesregierung forderte. Den westdeutschen Vorbildern entsprechend konnte am 1. Januar 1991 in Thüringen eine Massenunterkunft für Asylbewerber:innen mit großem Abstand zur Wohnbevölkerung eröffnet werden. Die Asylunterkunft am Neue Haus war ein Produkt der deutsch-deutschen Vereinigung. Ist das ein Grund zu feiern?